Dies sind Impressionen, Erinnerungen aus fünf Jahren, nicht Jahresberichte über die pädagogisch—organisatorische Tagesarbeit eines Schulleiters. Sie sind niedergeschrieben aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Thüringenkollegs im Oktober 2001.
5.August 1995,« Nach 30 Jahren Schuldienst als Musiklehrer und Chorleiter und vierjähriger Verwaltungsarbeit nach 1990 nun wieder Schule!
Schulleiter am Thüringenkolleg in Apolda heisst Aufbruch in alte neue Welten.
Neu zunächst wegen der Schulform: Kolleg.
Empfang in Apolda bei den freundlichen und, wie sich schnell zeigt, hoch qualifizierten, sehr kollegbewussten Lehren und den Kollegiaten, die aufgrund des „fortgeschrittenen“ Alters am Kolleg Studierende heissen, was aus schlichter Unkenntnis in einigen Amtsstuben Thüringens bis heute zu Irritationen führt.
Das Kolleg ist ein dreistufiges Erwachsenen—Gymnasium, eine altbundesländische Schulform, die es also vor der Wende im Osten Deutschlands nicht gab, nicht geben brauchte, weil viele aus politischen wie Glaubensgründen sowieso kein Abitur machen konnten. Am Kolleg können sie es nun nach 1991 nachholen. Das Kolleg ist eine sog. Landesschule, d.h. sie ist dem Land direkt unterstellt, Aufsicht, Personal— und Sachaufwand werden vom Freistaat Thüringen getragen.
Der Standort in der Apoldaer Lessingstrasse passt so gar nicht zum Würde verheissenden vorklassischen Strassennamen. Er besteht aus einem notdürftig passend gemachten Teilgebäude einer DDR—Fachschule mit dem entsprechenden Charme. Aber gemeinsame Probleme verbinden, und so verträgt man sich und hilft sich gegenseitig, wo es geht und die Haushaltmittel es zulassen. Die dringend notwendigen naturwissenschaftlichen Fachräume werden jedenfalls nach den modernsten Standards eingerichtet. Auch kündet in dieser Zeit im Kultusministerium eine viel beachtete Ausstellung des Fachbereichs Kunsterziehung am Kolleg davon, dass in baulichen Altlasten durchaus hohes fachliches und künstlerisches Niveau gedeihen kann. Aber Veränderung, sprich Umzug oder besser „Rückzug“ nach Weimar, wo die Schule ursprünglich ihren Sitz hatte, ist vorprogrammiert.
Eine der ersten Amtshandlungen 1995 in Apolda, damals nicht von allen gleich verstanden, weil scheinbar zu weit weg vom Unterricht Gründung des Fördervereins, die Annahme von Spenden und Förderanträge zur Unterstützung z.B. von schulischen Projekten ermöglicht/Ein Lehrer des Kollegs nimmt die Sache engagiert in die Tat um und lässt sie bis heute nicht los! Mit Erfolg:
Im Frühjahr 1996— Abiturphase! — wird das Organigramm für den ersten Umzug in meiner Laufbahn erstellt.
Lehrer und Studierende des Kollegs entpuppen sich auf dem Umzugsweg von Apolda nach Weimar als reine Umzugs—Profis/Nur einige wenige Grundsatz—Kritiker wollen sich von dem nostalgischen Ambiente in Apolda nicht so recht trennen — jedoch, das Gebäude ist nicht ausbaufähig und außerdem nicht Eigentum des Landes, also kein lohnendes Investitionsziel für eine staatliche Schule wie das Kolleg. In Weimar wartet ein Top-Gebäude-Ensemble am Steinbrückenweg Es wird dem Kolleg vom Musikgymnasium, das ins sanierte Weimar—Belvedere und einen dortigen Neubau (zurück) zieht, mit kompletter, modernster Ausstattung überlassen. Der vom Land angemietete Komplex besteht aus eingeschossigen, nach Funktion getrennten Fertigteilhäusern — Schule, Mensa, Internatsgebäude — und kann bis 1999 per Entscheidung des Kultusministeriums vom Kolleg nachgenutzt werden.
Die Bibliothek kommt dabei zu einem in die Schule integrierten Bibliotheksraum und wird durch Buchbestandsmittel, regelmässige Schulbuchbestellungen und durch Bücherspenden, u.a. der Anna Amalia Bibliothek Weimar und des Kulturkreises Liechtenstein—Weimar kontinuierlich auf mehrere tausend Bände erweitert. Eine ausgebildete und erfahrene Bibliothekarin betreut die Einrichtung über ABM fachgerecht. Inventarisierung und Katalogisierung am Steinbrückenweg legen das Fundament für Jahre und für die künftige Bibliotheksarbeit von Lehrern und Kollegiaten.
„Der Steinbrückenweg“, wie er in der Kollegsprache heisst, ist in seiner ausgeprägten Natur— und Kulturnähe ein idealer Studier – und Freizeitort, der die Menschwerdung als künftigen Abiturienten fördert und zeitweise zugleich von ihr ablenkt. Die Ilmaue ist schlichtweg zu ideal.
Schwieriger ist es hin und wieder, aber wichtig, auf die Lebens-, Berufs- und Sozialerfahrungen der Kollegiaten einzugehen, sie zu erkennen, zu verstehen und einzubeziehen. Die Beschäftigung mit diesen Problemen, vor allem die mit den
,Richtlinien der Kultusministerkonferenz zur Arbeit der Kollegs‘, die bundesweit gelten, führt zu einer stärkeren Vertretung der Kollegiaten und der Ausbildungs-Spezifik des Kollegs durch den Schulleiter nach aussen, zu einem besseren Verständnis sowieso, und vor allem zu einer engeren Bindung des Thüringenkollegs an den Bundesring der Kollegs, der als bundesweite Dachorganisation die Interessen der Kollegs vertritt, z.B. 1996 bei der Modifizierung der BAföG—Regelung zum Vorteil der Kollegiaten, für die Zahlungen nach wie vor unabhängig vom Elterneinkommen und nicht rückzahlungspflichtig geleistet werden.
Im
Bundesring hat das Kolleg schon bald einen guten Namen und ist durch den
Kollegleiter zeitweise als Landesringsprecher vertreten, eine Funktion, in der
sich die Kollegs in Ilmenau und Weimar abwechseln.
Die Anfangskontakte zum Hessenkolleg in Kassel und die Verbindungen zum Ilmenau— Kolleg werden wiederbelebt, gegenseitige Arbeits- und Kollegiatenbesuche finden statt, man sieht sich und man trifft sich, tauscht Erfahrungen aus und feiert miteinander. Dabei kommt es auch zu den Erlebnissen „documenta“ in Kassel und „Kulturstadtjahr“ in Weimar.
Vor allem aber erlangen die künstlerisch—wissenschaftlichen Projektwochen und Kollegtage, die Oster- und Weihnachtsvorlesungen, Veranstaltungen mit universitärem Charakter, auch die Kreativ-Kurse für Kinder und die Beteiligungen an Museumsfesten (z.B. Bienenmuseum Weimar) landes- und bundesweit Bekanntheit. Sie sind für die Kollegiaten mittlerweile unverzichtbare Formen der Kommunikation und Bewährung, des Vermittelns eigener Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten, die sowohl kollegiales und soziales Verhalten als auch wissenschaftliches Arbeiten und Studierfähigkeit, kreativität sowieso, fördern. Und selbst ein Austausch der Prüfungskommissions-Vorsitzenden in Weimar ändert nichts daran, dass das Kolleg alljährlich Spitzenpositionen in den Abitur—Ergebnissen einnimmt, was in unserem Falle nicht auf eine Schule mit sog. „leichten Abitur“ schliessen lässt. Für einen guten Ruf und demzufolge unverändert hohe Bewerberzahlen ist also gesorgt, wobei der Ort Weimar im Kollegnamen sicher eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Anfang 1997 unterzeichnen Universitäts-Rektor und Kollegleiter eine Kooperationsvereinbarung zwischen Bauhaus Universität Weimar und Thüringenkolleg, die traditionelle Bindungen wieder aufnimmt und die bereits begonnene Zusammenarbeit präzisiert.
Auf Vermittlung des Kulturkreises Liechtenstein—Weimar kommt ein Kontakt mit St.Ga11en in der Schweiz zustande, einem der bedeutendsten geistig—kulturellen Zentren im deutschsprachigen mitteleuropäischen Kulturraum. St. Gallen ist ein Glücksfall:
Partner des Kollegs wird die dortige Interstaatliche Maturitätsschule für Erwachsene, die auch Liechtensteiner Maturanten besuchen, wodurch EU—Bildungsprojekte möglich sind (Liechtenstein ist Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum/EWR und damit antragsberechtigt).
Der Direktor der ISME besucht 1996 Weimar.
1997 beginnt der eigentliche Austausch mit einer nach mit einer Kollegiaten-/Lehrer-Exkursion nach St. Gallen und ins Fürstentum Liechtenstein, wo die Fürstlichen Sammlungen auf Schloss Vaduz, zweitgrösste private Kunstsammlung der Welt, besichtigt werden können. Bildungs- und Kulturerlebnis par excellence und — des Staunens kein Ende! Fortgesetzt und intensiviert wird der Austausch 1998 mit einem Tell—Projekt, einer künstlerisch—wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit, verbunden mit der Erstellung einer Musik—Bibliographie zu Tell, Besuch der Schweizer Tell-Stätten und vor allem Kolloquien und Theater-Aufführungen, die auf beiden Seiten in Schule, Öffentlichkeit und Medien Aufmerksamkeit und Anerkennung finden. Auch ein Lehrerseminar zur Lernbegleitung können zwei unserer Lehrer in der Schweiz besuchen.
Besondere Bereicherung und Attraktivität erhält das Kolleg im unterrichtlichen Bereich durch das Fachangebot Latein und die regelmässige Tätigkeit von Fremdsprachen – Assistentinnen (Englisch/USA), die auch für ausserunterrichtliche künstlerisch-wissenschaftliche Aktivitäten und mancherlei vergnügliche Geselligkeit und Konversation im Kolleg sorgen.
Kaum nach Weimar umgezogen, steht ein neuer, der nunmehr endgültige
Standort fest: das ehemalige Landbund— und spätere Fachschulhaus Coudray-/Ecke Schwanseestrasse. Das Kolleg kehrt damit an einen seiner Ursprungsorte zurück.
1996/97 bereits beginnen die Planungen; darauf folgt eine über zweijährige Bauphase mit allen bekannten Unwuchten und allen nur denkbaren Eröffnungen eines Altbaus, der sich nach Kräften und ohne Rücksicht auf Kosten gegen seine Erneuerung wehrt: Kollegleiter als Schulleiter, Lehrer, Raumplaner, Baubegleiter in einem! Ein Team des Kollegs entwirft mit dem Architekten das Raumprogramm, das sich bis heute bewährt hat.
Im Frühjahr 1999 — Abiturphase! — wird das Organigramm für den zweiten Umzug in meiner Laufbahn erstellt: Das Abitur wird schon im neuen „Kolleghaus“ geschrieben. Am 1. Juni ist offizielle Übergabe mit Minister, Bundesring-Vorsitzenden, Stadt-Vertretern, Vertretern der befreundeten Kollegs.
Es ist eine Schule geworden, in der alle unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Bereiche nach neuesten Standards ausgestattet sind. Das Wohnheim ist kollegiatenfreundlich in den Bau integriert. Die Mensa, die räumlich repräsentativ angeordnete Bibliothek mit Lese-Ausleih- und Magazinbereich, Naturwissenschaften, Informatik, Kunsterziehung mit allen erforderlichen Nebenräumen für Praktika, Sammlungen und Lehrervorbereitung sind Schmuckstücke des neuen Schulhauses.
Das Unterrichts- und Bildungsprogramm des Jahres 1999 steht kulturstadtorientiert auf Weimar unter dem Motto „Eröffnungen – Begegnungen – Erkundungen 99″ und wird in der Stadt mit Interesse verfolgt.
Seminarfach, Neugestaltung der Oberstufe, vermehrte Lehrer- und Schülerabordnungen, Abitur-Anforderungen und Zuarbeiten für Prüfungsfragen, alle schulischen Pflichtaufgaben, auch die vorangegangenen wie Neueingruppierungen der Lehrer und Hospitationen zur Bewährungsfeststellung, sowohl an der eigenen wie auch an anderen Schulen, dazu Protokolle und Berichterstattungen, beschäftigten und beschäftigen das
Kolleg wie alle anderen Gymnasien — auch im neuen Schulhaus, nur mit dem Unterschied, dass Erwachsene die „Schüler“ sind, dass Lehrer in den Wissenschaften und ihren Vernetzungen erhöht gefordert sind, dass in allen unterrichtlichen Belangen vorangegangene, teils breit gefächerte Kenntnisse und Erfahrungen, zum Teil umfangreiches Spezialwissen, aber auch abstandsbedingte Unkenntnisse, unverschuldete Wissens – Verluste zu berücksichtigen sind.
Ein Kollegiat kann bei Schulbeginn nicht einfach auf das vergangene Schuljahr zurückgreifen. Und die Kleinheit einer Schule bringt für die dafür verantwortlichen Leiter und Lehrer oft mehr Probleme denn Erleichterungen in der Planung und Gestaltung des Unterrichts, im Funktionieren der Schule an sich.
Aber im neuen Schulhaus kehrt allmählich mehr Ruhe ein in die täglichen Schulaufgaben der Lehrer und Kollegiaten, die Stetigkeit auf weite Sicht scheint garantiert, auch die Position und Anerkennung des Kollegs als Bildungs- und Kulturfaktor in der Stadt Weimar, woraus sich für des das Kolleg die immer währende Verpflichtung ergibt, aus den reichen, anspruchsvollen Angeboten, aus dem erklärten Weltkulturerbe der Stadt Weimar zu schöpfen und es für die Ausbildung nach Kräften zu nutzen.
Hier braucht es zu aller Verlässlichkeit der pädagogischen und technischen Mitarbeiter einen sicheren Ort der Information, der Ordnung, der inneren und äusseren Sammlung den das Kolleg hat: das Sekretariat. Das ist auch eine wichtige Erfahrung aus fünf Jahren.
Der Kollegleiter kann also im Mai 2000 getrost seinen Ruhestand antreten. Ein bißchen Wehmut ist auch dabei, aber nur ein bißchen. Vor allem bleibt das gute Gefühl, eine in ihrer Existenz gesicherte, inhaltlich und baulich intakte Schule (an einem hervorragenden Standort) hinterlassen zu haben, worin der Dank an Stellvertreter, Oberstufenleiter, Lehrer und technische Mitarbeiter für fünf spannende Jahre eingeschlossen ist. Allen weiterhin nur „gute Jahrgänge“ und viel Erfolg!